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Unter dem Makroskop: Wenn Wirtschaft und Aktienmärkte auseinanderdriften

Aktualisiert: 29. Aug. 2023

Wundern Sie sich manchmal, wenn düstere Wirtschaftsnachrichten von steigenden Aktienkursen begleitet werden? Dann sind Sie nicht allein. Für das Auseinanderklaffen von Aktienmarkt und Wirtschaftsindikatoren gab es in den vergangenen Wochen zahlreiche Beispiele. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?

Die Märkte blicken in die Zukunft, aktuelle Preise bilden daher die Erwartungen der Marktteilnehmer in aggregierter Form ab. Dies schließt auch Erwartungen an die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und mögliche Auswirkungen auf die Cashflows ein, die für den Wert einer Aktie maßgeblich sind. Gehen die Märkte also davon aus, dass das konjunkturelle Umfeld die Cashflows von Unternehmen senken wird, können die Märkte reagieren, lange bevor die Cashflows tatsächlich sinken. Diese Erwartungen sind in den Marktpreisen enthalten. Je nachdem, ob und inwieweit die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung von den Erwartungen abweicht, kann es zu Korrekturen am Aktienmarkt kommen. Kommt es weniger schlimm als erwartet, können daher auch schlechte Nachrichten aus der Wirtschaft zu steigenden Aktienkursen führen.

Der Blick nach Vorn

Dass die Märkte stets in die Zukunft blicken, verdeutlicht zum Beispiel die Beziehung zwischen US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Aktienrisikoprämien, also der Mehrrendite von Aktien gegenüber einmonatigen US Staatsanleihen. Vergleicht man die US-Aktienprämien und das Wirtschaftswachstum desselben Jahres (oberes Diagramm, Abbildung 1), ist keine klare Beziehung erkennbar. Zwischen Wirtschaftswachstum und Aktienrenditen desselben Jahres besteht keine hohe Korrelation.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Finanzmärkte Wirtschaftsdaten ignorieren. Schließlich erfasst das BIP zahlreiche wirtschaftliche Kennzahlen, nicht nur Unternehmensgewinne, und mag daher die für Aktienkurse relevanten Faktoren nur ungenau abbilden. Für die mangelnde Korrelation zwischen Wirtschaftswachstum und Aktienprämien des gleichen Jahres gibt es jedoch auch andere Gründe, wie eine eingehendere Analyse zeigt.

Vergleicht man das Wirtschaftswachstum eines Jahres mit den Aktienprämien des Vorjahres (unteres Diagramm, Abbildung 1), erkennt man eine deutliche Korrelation. Der positive Trend in den Daten deutet darauf hin, dass die Marktpreise tatsächlich auf Wachstumsveränderungen reagiert haben. Allerdings haben sie diese vorweggenommen. Dieses Ergebnis bestätigt die Praxis der Märkte, zukünftige Wachstumserwartungen einzupreisen.

Info: Jährliche Wirtschaftswachstumszahlen des US Bureau of Economic Analysis. Um Inflationseffekte auszugleichen, werden die Zahlen auf das Jahr 2012 umbasiert (in US-Dollar). Die jährliche US Aktienprämie entspricht der Renditedifferenz zwischen dem Fama/French Total US Market Research Index und einmonatigen US Staatsanleihen (Treasury Bills). Die Daten zu Aktienprämien wurden von Ken French zur Verfügung gestellt und sind abrufbar unter mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html. Eugene Fama und Ken French sind Mitglieder des Board of Directors und General Partners von Dimensional Fund Advisors LP und als Berater für das Unternehmen tätig. „Einmonatige US Staatsanleihen (Treasury Bills)“ entspricht der IA SBBI US 30 Day TBill TR USD, die von Ibbotson Associates über Morningstar Direct veröffentlicht wird.


Damit kommen wir zu den Schlagzeilen der Stunde, die auch manchem Anleger Sorge bereiten. Die Rede ist von den immer größeren Ausgaben der US-Regierung zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie – und ihren möglichen Konsequenzen. Könnte die Finanzlast der Regierung ein solches Ausmaß annehmen, dass irgendwann auch die Aktienrenditen darunter leiden? Die Ergebnisse in Abbildung 2 sollten die Sorgen eines Übergreifens der Staatsschulden auf Aktienmarktrenditen beschwichtigen. Wir haben pro Jahr die einzelnen Länder anhand ihrer Schuldenquote aus dem Vorjahr angeordnet (obere Tabelle). Das Ergebnis: Die durchschnittlichen jährlichen Aktienprämien in hochverschuldeten Ländern liegen etwas über dem Niveau niedrig verschuldeter Länder, und zwar sowohl in Industrie- als auch in Schwellenmärkten. Die kleine t-Statistik der Renditedifferenz – eine Kennzahl für die Genauigkeit einer Schätzung – legt jedoch den Schluss nahe, dass diese Abweichungen der Durchschnittswerte statistisch nicht maßgeblich sind.1 In der oberen Tabelle haben wir Länder anhand der Schuldenquote aus dem Vorjahr in zwei Gruppen für höher und niedriger verschuldete Länder unterteilt. Allerdings interessieren sich Anleger vielleicht weniger für die frühere Entwicklung der Schulden als für die zukünftige. In der unteren Tabelle von Abbildung 2 haben wir die Länder anhand ihrer Schuldenquote per Ende des aktuellen Jahres sortiert. Dabei gehen wir davon aus, dass sich diese exakt vorhersagen lässt. Auch hier waren die durchschnittlichen Aktienprämien für hoch- und niedrigverschuldete Länder ähnlich. Genau wie bei der Wachstumsanalyse deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Märkte in der Regel die erwartete Entwicklung der Staatsschulden einpreisen.

Info: Alle Renditeangaben in USD. Die einzelnen Länder werden jeweils zu Jahresbeginn eingeteilt, die Klassifizierung als höher bzw. niedriger verschuldetes Land orientiert sich an der Median-Schuldenquote. Als Schulden gelten allgemeine Staatsschulden bzw. Schulden des Zentralstaates. Quelle: Internationaler Währungsfonds. Aktienrenditen werden durch die MSCI Länderindizes dargestellt. Berechnungen von Dimensional auf Grundlage von Daten von Bloomberg und MSCI. Anleger können nicht direkt in Indizes investieren. Die Wertentwicklung eines Index zeigt daher nicht die mit der Verwaltung eines tatsächlichen Portfolios verbundenen Kosten an.


Märkte sind am Verarbeiten

Wirtschaftliche Kennzahlen und Anlageentscheidungen sind wie Wasser und heißes Öl – man sollte sie nur mit äußerster Vorsicht zusammenführen. Die Märkte erfassen und verarbeiten nicht nur riesige Mengen an Wirtschaftsdaten, sondern auch Erwartungen an die Entwicklung dieser Daten. Die hier abgebildeten Analyseergebnisse sind mit diesem Marktmechanismus vereinbar. Öffentliche Kapitalmärkte preisen die Informationen ein – und werden so vielleicht selbst zum besten Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung.

Fußnoten

  1. Forscher geben häufig einen t-Statistik Wert von 2,0 als Schwellenwert für die statistische Zuverlässigkeit an.

Glossar Wirtschaftsdaten: Daten zur Messung der Wirtschaftsleistung eines Landes, u. a. Beschäftigungs- und Produktionszahlen. Bruttoinlandsprodukt: Gesamtwert der Güter und Dienstleistungen, die von einem Land innerhalb eines bestimmten Zeitraums produziert werden. Schuldenquote: Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Fama/French Total US Market Research Index: Dieser marktkapitalisierungsgewichtete US-Marktindex wird jeden Monat unter Verwendung aller an der NYSE, AMEX und Nasdaq notierten Emissionen mit verfügbaren ausstehenden Aktien und gültigen Preisen für diesen Monat und den vorhergehenden Monat erstellt. American Depositary Receipts sind von der Berechnung ausgeschlossen. Quellen: CRSP für marktkapitalisierungsgewichtete US-Marktrenditen. Rebalancing: Monatlich. Dividenden: In das zahlende Unternehmen reinvestiert, bis das Portfolio neu gewichtet ist.

Haftungsbegrenzung

Alle Informationen, Zahlen und Aussagen in diesem Artikel dienen lediglich illustrativen und didaktischen Zwecken. Der Artikel richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit, nicht jedoch an einen einzelnen oder an einzelne Anleger, auch nicht an die existierenden oder künftigen Mandanten der Amatara Independent Advisors GmbH im Besonderen. Unter keinen Umständen sollten diese Artikel oder die darin enthaltenen Informationen als Finanzberatung, Investitionsempfehlung oder Angebot im Sinne des deutschen Wertpapierhandelsgesetztes verstanden werden. Ob die Informationen in diesem Artikel korrekt sind, können wir nicht mit Gewissheit sagen, wenngleich wir uns bemüht haben, Fehler zu vermeiden. Historische Wertsteigerungen und Renditen bieten keinerlei Gewähr für zukünftig ähnliche Werte. Ein direktes Investment in die hier gezeigten Wertpapierindizes ist nicht möglich. Insbesondere enthält ein solcher Index keine Kosten und Steuern. Investieren in Bankguthaben, Wertpapiere, Investmentfonds, Immobilien und Rohstoffe bringt hohe Verlustrisiken mit sich, bis hin zum Risiko des Totalverlusts. Es ist möglich, dass die Investmenttechniken, die in diesem Dokument genannt werden, zu beträchtlichen Verlusten führen. Wir übernehmen keine Haftung für etwaige Schäden, die aus der Verwendung der in diesem Artikel enthaltenen Informationen resultieren.

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